Endlich, endlich ist es soweit. Die Sonne geht am Horizont auf und taucht den Kieler Yachthafen in ein ungewöhnlich schummeriges Licht. Es ist kurz nach sieben Uhr morgens am 31. Oktober. In der letzten Nacht wurden die Uhren auf Winterzeit umgestellt und genauso begrüßt uns auch der Morgen: kalt und grau. Der Winter kommt. Normalerweise hätte ich mich ja gefreut, eine Stunde länger schlafen zu können. Aber heute morgen hält mich nichts in der Koje. Denn wir wollen heute viel schaffen!
Ich befinde mich an Bord unserer Maverick, einer 34 Jahre alten Segelyacht vom Typ Fellowship 27. Wir haben sie erst in diesem Frühjahr als Ersatz für unsere geliebte kleine Shark 24 Biskaya gekauft, die uns mit den Jahren einfach zu klein geworden war. Nachdem wir vor zwei Jahren Kiel als unseren neuen Heimathafen ausgewählt hatten, stand der Vergrößerung nichts mehr im Wege. Nach langer Sucherei auf dem Gebrauchtbootmarkt und dem fast-Kauf eines 76 Jahre (!) alten Seekreuzers, fand ich die Maverick, damals noch unter dem Namen „Godenwind“, letztlich bei Ebay.
Ein paar Wochen später fanden wir uns zur Rekord-Renovierung in Jork, dem damaligen Heimathafen des Bootes, ein. An einem Tag strichen wir das Unterwasserschiff neu, bauten zum Teil neue Bordelektrik ein (ein neues Echolot und einen Geschwindigkeitsmesser) und nahmen auch die Polster und Teppiche von Bord mit, um neue zu nähen. Damit war die Maverick nach einigen Jahren Standzeit in der Halle wieder seetüchtig. In zwei Tagen überführten wir sie nach Kiel, ihrem neuen Heimathafen.
Nach diesem Segelsommer, in dem wir die dänischen Inseln abklapperten, wurde es nun langsam knapp: Der Winter naht und die Maverick muss aus dem Wasser! Da ich im Winter einiges an Bord reparieren und erneuern muss, können wir sie nicht in Kiel liegen lassen, sondern haben uns entschieden, die Maverick über die Kanäle nach Hause zu holen. Die Planung dafür sieht folgendermaßen aus:
Am Samstag den 30. Oktober wollen wir ganz früh morgens nach Kiel fahren, dort den Mast legen und ihn dort ins Mastregal legen, damit wir auf der Kanaltour „das Rohr“ nicht an Deck im Weg rum liegen haben. Dann soll es auch gleich am Samstag in den Nord-Ostsee-Kanal gehen. Wir wollen zumindest die Hälfte schaffen, damit wir am Sonntag pünktlich um 10 Uhr in Brunsbüttel an der Elbe sind und dann mit dem auflaufenden Wasser im Rücken (das uns dann schiebt!) die Elbe hinauf fahren können. Dann geht es durch Hamburg hindurch nach Lauenburg. Von dort aus am Montag über den Elbe-Seiten-Kanal nach Wolfsburg. Klingt ganz easy… Einen Teil der Route kenne ich ja auch schon von meinem Abenteuer in 2002, als ich unsere Shark in einer Woche über 350 km und 19 Schleusen aus Mecklenburg nach Hause brachte ("Über die Kanäle nach Hause").
Am Samstag ging es also ganz früh (na ja… für uns verhältnismäßig früh…) los. Gegen 12 Uhr waren wir, das heißt mein Vater Manfred, mein Onkel und ich, in Kiel. Natürlich viel später als erwartet! Und gleich das erste Problem: Es gibt in unserem Hafen gar kein Mastregal! Also in der Werft nebenan gefragt. Die haben ein Regal. Aber leider ist dort am Wochenende keiner zu erreichen. Aber glücklicherweise treffen wir dort ein Pärchen, das ebenfalls mit einer alten Fellowship 27 unterwegs ist, die ihren Mast in einer Masthalterung (selbstgebaut!) an Deck liegen haben. Unser Mast ist zwar noch etwa 2 Meter länger, aber wir sind zuversichtlich: Wird schon klappen. Das Ding bauen wir uns nach!
Also ab zum Baumarkt, ein paar Bretter und Edelstahlbolzen gekauft und zurück zum Boot. Wir wollen nun erst den Mast legen und ihn dann gleich in die neue Halterung kranen. Das klappt auch alles ganz gut. Die Masthalterung ist hoch genug, damit wir unter dem Mast noch bequem am Steuerrad stehen können. Dann wird noch schnell ein kleiner Motorbootmast montiert, der unsere Positionsbeleuchtung für die Nachtfahrten trägt und es kann losgehen.
Wir haben viel zu viel Zeit gebraucht, es dämmert schon. Auf dem Nord-Ostsee-Kanal herrscht Nachtfahrverbot, deshalb wird es für uns sehr knapp. Mein Onkel fährt mit dem Auto wieder nach Hause und wird am Montag in Hamburg Manfred für das letzte Stück ersetzen. Manfred und ich motoren also flink zur Schleuse in Kiel-Holtenau, aber die Lichter sind aus – Fehlanzeige. Getrübt fahren wir zurück in unseren Hafen und machen für eine weitere Nacht in Kiel an einem leeren Steg fest. Abendessen wird gemacht, eine Flasche Glühwein wird gefunden, … Am späten Abend kommen wir auf die Idee, dass wir auch andersherum nach Lauenburg kommen könnten, nämlich über die Ostsee nach Lübeck und von dort durch den Elbe-Lübeck-Kanal in die Elbe. Wenn wir sofort losfahren würden, wären wir am nächsten Morgen in Lübeck. Aber die Idee wird wieder verworfen, der Auslauftermin wegen dem Nachtfahrverbot auf die Morgendämmerung festgelegt.
Am nächsten Morgen rasselt der Handywecker um halb sechs. Viel zu früh. Ich torkele noch halb im Koma aus dem Boot, klettere die Treppe zu den Waschräumen hoch und versuche wach zu werden. Es klappt. Zurück an Bord steht schon der Kaffee auf dem Tisch. Draußen ist es noch stockduster. Nach dem Frühstück wird nach dem Öl geguckt. Sieht gut aus. Dann ist es soweit: Gegen kurz nach sieben wird es langsam hell. Der Dieselmotor startet sofort! [5,4 MB]. Eine Rauchwolke nebelt uns ein. Ob der Motor die lange Strecke schafft? Los geht’s!
Kurz darauf dümpeln wir wieder vor der gleichen Schleuse des NOK. Alle Lichter aus? Was soll das? Ich setze Manfred ab, er soll uns anmelden. Ein zweiter Segler taucht auf, will wohl auch in den Kanal. Ich dachte, die anderen Boote seien schon alle an Land? Noch einer, der genauso spät dran ist wie wir!
Manfred kommt zurück. Der Pförtner der Schleusengesellschaft sagt, die Kammer sei dicht, wir sollen die andere nehmen. Mist, dann waren wir die ganze Zeit an der falschen Schleuse! So ein Ärger! Wir motoren zusammen mit dem anderen Segler zu der anderen Kammer, in die gerade drei riesige Frachter einfahren. Ein dritter Segler taucht plötzlich aus dem Nebel auf. Dann noch ein Motorboot. Als die drei Frachter eingefahren sind, schalten die Lampen auf ein weißes blinkendes Licht um – Einfahrt frei für die Sportboote!
Wir machen als erstes Boot hinter einem holländischen Frachter fest, dahinter ein Segler, zum Schluss die beiden anderen. Die Schleusentore werden geschlossen – Wir haben es geschafft.
Während der Schleusung kommt ein Holländer zu mir und erklärt mir, ich solle unsere Festmacheleine doch lieber noch etwas dichter holen, macht mir mit einem „schwusch…“ und Händen und Füßen klar, dass wir sonst weggespült werden, sobald er Gas gibt. Ich knalle die Leine dicht. Das Tor geht wieder auf und er gibt Gas. Riesige Wirbel entstehen im Schleusenbecken, wir liegen bombenfest an der Schleusenmauer, aber der Segler hinter uns fängt an zu tanzen, eiert hin-und her, kommt uns bedrohlich nahe und – bäng – gerät mit seinem Mast in unseren. Gleich darauf kommt uns sein Anker am Bug noch mal ziemlich nahe, ich kann ihn jedoch gerade noch abhalten. Passiert ist zum Glück nicht viel. Unsere Windfahne am Mast, der Windex, ist verbogen, aber wieder zu reparieren – Glück gehabt!
Weiter geht es mit Fullspeed (etwa 6,5 Knoten, also 12 km/h…) in Richtung Brunsbüttel. Knapp hundert Kilometer liegen bis dorthin vor uns. Es wird eine recht eintönige Fahrt den Kanal entlang. Alles an Bord vibriert durch den bei 2200 Umdrehungen ratternden Diesel. Ich mache Fotos von meiner Teetasse, auf der sich durch die Vibrationen sofort interessante Kreise bilden…
Ganz lustig ist auch ein Haus, das wir auf halber Strecke bei Rendsburg am Kanalufer stehen sehen. Es ist genau bis zur Hälfte abgerissen. Die linke Seite ist weg, die rechte vollkommen intakt! Würde man es nur von rechts sehen, könnte man nicht darauf kommen, dass die gesamte Rückseite weg ist.
Nach 8 Stunden Fahrt erreichen wir gegen 17.00 Uhr die Schleuse Brunsbüttel. Durch Kreisefahren vor der Schleuse mache ich den Schleusenwärter auf uns aufmerksam, der uns die Kammer öffnet.
Wir tuckern [1,4 MB] in die Schleusenkammer und sind um halb sechs auf der Elbe. Wir haben den Teil der Strecke, auf dem wir unter Zeitdruck stehen, geschafft und können nun die Nacht durch auf der Elbe fahren.
Dummerweise sind wir gerade zum Zeitpunkt der Flut in Brunsbüttel, was bedeutet, dass uns das Wasser nicht wie gewollt bis Hamburg schiebt, sondern abläuft und uns damit entgegendrückt! Grrr… ;-)
Wieder geht es mit Fullspeed hinaus und in Richtung Hamburg. Die Geschwindigkeit hat sich jedoch durch das entgegenstehende ablaufende Wasser soweit verringert, dass wir nur noch maximal 4 Knoten laufen, also etwa 7,5 km/h. Schrittgeschwindigkeit, um genau zu sein. Wir laufen also im Prinzip zu Fuß ganz langsam die Elbe hinauf! Das kann ja lustig werden... Das Fahren gegen den Strom ist hier auf der Elbe immer ein Problem und man kann hier öfters Segler beobachten, die nicht auf die Gezeiten geachtet haben. Dann segeln sie hier auf der Stelle und kommen einfach nicht voran. Hätten wir nicht einen starken Motor, wäre es für uns auch Hoffnungslos.